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Mittelalterliche Kreuzgänge im Rheinland

Paradies auf Erden

von Jürgen Kaiser

Gerade in unserer hektischen Gegenwart sind Kreuzgänge zum Inbegriff klösterlicher Architektur und damit auch von Konzentration und Stille geworden. Mit ihrer gleichbleibenden Arkadenfolge des quadratischen Ganges rund um einen nicht überdachten Innenhof laden sie gleichsam zur meditativen Bewegung ein. Weit öffnen sich die in romanischen oder gotischen Formen gestalteten Fenster in den begrünten Hofraum, sodass sich hier Architektur und Natur geradezu idealtypisch verbinden, was nicht nur das Herz des Fotografen erfreut.

Vermutlich geht die Form der mittelalterlichen Kreuzgänge auf die Atriumhöfe spätantiker Villen oder luxuriöser Stadtvillen der Römerzeit zurück, die von ihren reichen Besitzern in Klöster umgewandelt wurden. Bedeutendere frühchristliche Kirchen besaßen meist auch ein Atrium als Vorhof, der aus säulen- oder pfeilergestützten Arkaden bestand, was auch ein Vorbild gewesen sein könnte.

Die besondere Schönheit und Ruhe der Kreuzgänge erscheinen nicht erst uns heutigen Besuchern fast paradiesisch. Tatsächlich verweist die mittelalterliche Symbolik mit der Viereckform auf die quadratische Himmelsstadt, wie sie in der Offenbarung des Johannes geschildert wird. Damit hatten die exklusiven mittelalterlichen Nutzer dieser Kreuzgänge – Mönche, Nonnen, Stiftsherren oder -damen – mit ihrem asketischen, ganz auf Gott ausgerichteten Leben schon im Kreuzgang ihres Klosters oder Stiftes ihr Sehnsuchtsziel, das himmlische Paradies, gleichsam vor Augen. Zu dieser Paradiessymbolik passt natürlich auch bestens der Kreuzgangbrunnen, dessen meist aufwendige Anlage in einem kapellenartigen Raum auf die Paradiesflüsse verweist.

Ganz praktisch dient ein Kreuzgang aber auch als Verbindungsweg zwischen den wichtigsten klösterlichen Gemeinschaftsräumen wie Refektorium (Speisesaal), Arbeitsräumen, Wärmestube oder Kapitelsaal. In letzterem versammelte sich täglich der Konvent nach der Messe, um die praktischen Dinge des Alltags zu besprechen und einem Kapitel der Klosterregel samt Auslegung durch Abt oder Äbtissin zu lauschen. Am Kreuzgangbrunnen wusch man sich dann vor dem Betreten des Speisesaales die Hände, wobei auch immer des Taufgelöbnisses gedacht wurde.

Der Kreuzgang diente natürlich auch gemeinsamen Prozessionen des Konventes, nahmen diese doch generell in der mittelalterlichen Liturgie einen großen Stellenwert ein. Hinter dem Vortragkreuz zog die Gemeinschaft dann durch den Kreuzgang in die Kirche, was den deutschen Namen erklärt. Der lateinische Begriff claustrum für den Kreuzgang bezieht sich auf den Klausurbereich, das heißt den geschützten, inneren Klosterbereich, den nur die Ordens- und Klostermitglieder betreten, aber auch nicht mehr verlassen durften. Kreuzgänge lagen meist auf der Südseite der Abtei-, Stifts- oder Klosterkirchen, damit das Licht und die Wärme der Sonne gut genutzt werden konnten. Denn vor der Verbreitung eigener, großer Bibliotheksräume und Einzelzellen diente der Kreuzgang auch als Leseraum. In einer großen Nische stand daher immer eine Auswahl an geistlichen Werken, die entweder in meditativer Bewegung oder auf einer Bank entlang der Kirchenaußenwand sitzend gelesen wurden.

Klimaveränderungen fanden auch schon im Mittelalter statt. Daher ging man im hohen Mittelalter allmählich dazu über, die Kreuzgangfenster zu verglasen, was ab dem Spätmittelalter Standard war. Dank reicher Stifter konnten so bunte Glasmalereien mit Szenen der Heilsgeschichte oder Heiligenlegenden eingebaut werden, die das dank Wand- und Gewölbemalereien sowieso schon farbenfrohe Erscheinungsbild der Kreuzgänge erheblich bereicherten.

Ein zentraler Begriff des Mittelalters ist die Sorge um das Seelenheil, lateinisch memoria. Dies bedeutet, dass nach damaliger Vorstellung die Seele des Verstorbenen durch die Gebete noch Lebender schneller aus dem Fegefeuer und dessen Qualen befreit werden konnte, um endlich in das ersehnte himmlische Paradies einzuziehen. Klösterliche Gemeinschaften waren daher ideal für das mittelalterliche Gebetsgedenken. Denn man war davon überzeugt, dass diese nie aufgelöst werden würden. Wer sich hier begraben ließ, war also auf der sicheren Seite. Für Klöster und Stifter wiederum waren diese Begräbnisse hochwillkommene Einnahmequellen. So füllten sich nicht nur die Kirchen, sondern auch die Kreuzgänge rasch bis auf den letzten Platz mit Grabstätten wohlhabender Adeliger und Bürger. Am jeweiligen Sterbetag, der in den klösterlichen Nekrologen akribisch samt dem gestifteten Geld oder Gut festgehalten wurde, zog der gesamte Konvent zum geschmückten Grab, an dem dann exklusiv für den Wohltäter gebetet wurde.

Zudem hoffte man, dass die Mönche und Nonnen auch dann ein kurzes Gebet sprachen, wenn sie über die flache Grabplatte im Kreuzgangboden liefen. Um noch besser in Erinnerung zu bleiben, ließen manche Stifter darüber hinaus zu ihrem Gedenktag den klösterlichen Speiseplan erweitern, sei es mit Wein oder Süßigkeiten.

Die zahlreichen Klöster und Stifte des Rheinlandes überstanden zwar meist die Zeit der Reformation. Doch alle traf schließlich die Säkularisation 1802/03, als auf staatlichen Beschluss eine allgemeine Auflösung und Enteignung aller geistlichen Einrichtungen erfolgte. Meist wurden die Kirchen den jeweiligen Pfarreien zur dauerhaften Nutzung überlassen, die jedoch kein Geld und keine Verwendung für die nun leerstehenden umfangreichen Konventsgebäude hatten. So kam es in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zu einer umfassenden Abrisswelle klösterlicher Bauten und damit auch der meisten Kreuzgänge, bis allmählich ein Umdenken im Sinne einer frühen Denkmalpflege und Wertschätzung der Monumente der Vergangenheit einsetzte. Letztlich blieben aus der romanischen und gotischen Epoche einige markante Beispiele der Kreuzgangarchitektur im Rheinland erhalten, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen.

Bonn

Am eindrucksvollsten, weil vollständigsten bietet sich der Kreuzgang des [Bonner Münsters](/suche?q=bonner münster&requiredfields=“ra_facet_doctype%3ABildarchiv%2520Monheim”) dar. Er entstand ab den 1140er-Jahren unter dem bedeutendsten Propst des Münsterstiftes Gerhard von Are. Dieser ließ nicht nur die Ostfassade der Münsterkirche prachtvoll erweitern, sondern auch die kompletten Gemeinschaftsräume auf der Südseite neu bauen. Drei Flügel des Kreuzganges blieben bis heute erhalten, während der nördliche Teil dem Neubau des Münsterlanghauses um 1220 weichen musste. Konsolen an der Kirchenaußenwand lassen erkennen, dass dieser Flügel dann wohl nur noch als hölzernes Provisorium neu entstand. Die rundbogigen romanischen Arkaden werden von kleinen Säulen mit variationsreichen Kapitellen gestützt. Erstaunlicherweise sind alle diese Kapitelle noch im Original erhalten und lassen einen Zusammenhang mit den Bildhauerarbeiten der 1151 geweihten Doppelkirche im Bonner Ortsteil Schwarzrheindorf erkennen. Als Material für die Kapitelle verwendeten die Steinmetze Kalksteine aus den Ruinen des römischen Bonn. Die südliche Außenwand des Kreuzganggevierts stammt sogar noch aus dem 11. Jahrhundert. Daher kann vermutet werden, dass schon damals ein Vorgängerkreuzgang in der heutigen Größe bestand.

Betritt man den begrünten Kreuzganginnenhof, so fällt auf, dass nicht nur der Kreuzgang, sondern auch die romanischen Obergeschosse des Klausurbereiches erhalten geblieben sind. Während die Obergeschosse des Ost- und Westflügels im Zuge des Langhausneubaus um 1220 neu gestaltet wurden, stammt der Südflügel in beiden Stockwerken noch aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Weite, säulengestützte Arkaden sind dem Kreuzgang dort vorgesetzt, um einen romanischen Arkadengang im Obergeschoss zu tragen – ein Architekturmotiv, wie es sich nur bei romanischen Königs- und Bischofspfalzen findet!

In den kreuzgratgewölbten Gängen haben sich noch zahlreiche Grabplatten aus verschiedenen Jahrhunderten erhalten, die sich teilweise noch in Originallage auf dem Boden oder aber nachträglich an den Wänden aufgestellt finden. Während die Innenräume der Klausurgebäude weitgehend verändert wurden, blieb noch der Kapitelsaal im Anschluss an das südliche Querhaus erhalten. Darin befand sich einst das Grabmal Gerhards von Are, der als großzügiger Stifter und Erbauer der Klausur natürlich in besonderer Erinnerung bleiben wollte.

Verwunderlich ist, dass nur wenige Besucher des Münsters auch den Weg in den Kreuzgang finden, der nicht nur eine Oase der Ruhe inmitten der geschäftigen Bonner Innenstadt ist, sondern auch zu den größten Kostbarkeiten der romanischen Baukunst nicht nur im Rheinland zählen darf.

Brauweiler

Der mit Abstand größte romanische Kreuzgang des Rheinlandes blieb, zumindest mit zwei seiner Flügel, auf der Südseite der Abteikirche Brauweiler erhalten.

Im Zusammenhang mit dem dritten romanischen Neubau der Klosterkirche wurde im 12. Jahrhundert der gesamte Klausurbereich ebenfalls neu errichtet. Betritt man den Innenhof des Kreuzganges, so fallen zunächst seine überraschend großzügigen Abmessungen auf. Normalerweise erstrecken sich Kreuzgänge nur entlang von Lang- und Querhaus. Doch dann wäre der Brauweiler Kreuzgang samt Klausurbauten aufgrund der geringen Länge der Kirche wohl allzu bescheiden ausgefallen und hätte für den damals noch sehr großen Konvent zu wenig Raum geboten. So schob man den Ostflügel des Kreuzganges bis in die Achse der östlichen Reliquienkapelle am Chor der Kirche vor.

Leider wurden zwei der vier Flügel 1810 abgerissen. Doch ihr Verlauf konnte durch Aufmauerungen im Boden sichtbar gemacht werden. Betritt man den erhaltenen Ost- und Südflügel, so überrascht auch dort die ungewöhnliche Weite der kreuzgratgewölbten Gänge. Dreierarkaden auf Doppelsäulen, im Ostflügel zusätzlich noch mit jeweils zwei Vierpässen darüber, öffnen sich zum Innenhof. Als Besonderheit fällt der streifenartige Materialwechsel der Pfeiler aus hellem Trachyt und dunklem Andesit auf, beides als Baumaterial vom Siebengebirge mühsam dorthin gebracht. Dieser dekorative Materialwechsel findet sich in der rheinischen Romanik nur noch an den Mittelschiffpfeilern der Kölner Stiftskirche St. Andreas aus dem späten 12. Jahrhundert. Die reich verzierten Doppelkapitelle erweisen sich bei näherem Hinsehen als recht freie Neuschöpfung aus den Jahren 1860–1862.

Die Bögen am Mauerwerk der Kirchensüdseite sind der einzige Rest des nördlichen Kreuzgangflügels, der im östlichen Bereich sogar mit einem gewölbten romanischen Raum unbekannter Nutzung überbaut war. Der im 19. Jahrhundert mit der Restaurierung von Kirche und Kreuzgang beauftragte Architekt Heinrich Wiethase rekonstruierte vor dem Südportal der Kirche zum Kreuzgang hin zum Schutz der reichen spätromanischen Portalverzierung eine Vorhalle, welche die Form des Kreuzganges aufgreift. Wer heute einige Säulen und Kapitelle der beiden abgerissenen Brauweiler Kreuzgangflügel sehen will, der muss bis ins hessische [Bad Homburg vor der Höhe](/suche?q=bad homburg vor der höhe&requiredfields=“ra_facet_fotograf%3AKettenberger%2C%2520Oswald”) fahren. Über Umwege gelangten sie in den Besitz Kaiser Wilhelms II., der seit seiner Bonner Studienzeit ein Liebhaber der rheinischen Romanik war. Das Schloss in Bad Homburg nutzte er als Sommerresidenz. Daher ließ er 1901 an den Speisesaal die sogenannte Romanische Halle aus den Brauweiler Spolien als Loggia anfügen, die dort noch heute bewundert werden kann. Eine große, reich verzierte Bogenöffnung aus dem Brauweiler Kreuzgang befindet sich im Hessischen Landesmuseum Darmstadt und lässt die verlorene Pracht noch ahnen. Wohin die übrigen Bauteile der beiden abgerissenen Kreuzgangflügel gelangten, ist unbekannt.

Von den mittelalterlichen Räumen des Ostflügels der Brauweiler Klausur sind nur noch der ehemalige Kapitelsaal und die 1174 geweihte Benediktuskapelle erhalten. 1861 sind die beiden ursprünglich getrennten Räume zu einem verschmolzen worden, um Raum für die evangelischen Gottesdienste der preußischen Arbeitsanstalt zu erhalten, die inzwischen in den ehemaligen Klostergebäuden eingerichtet worden war. Im Obergeschoss des Ostflügels lag einst der Schlafsaal der Mönche, während sich am Südflügel des Kreuzganges der Speisesaal befand. Beide fielen der baulichen Erneuerung der Klostergebäude im 17. und 18. Jahrhundert zum Opfer. Barock überformt wurde auch der Mittelbau zwischen Kreuzgang und Prälatenhof, dessen Mauerwerk aber noch aus dem frühen 13. Jahrhundert stammt, wie ein im Obergeschoss freigelegter Rest einer Fensterarkade mit Kleeblattbogen zeigt.

Bendorf-Sayn

Auch wenn vom romanischen Kreuzgang des ehemaligen Prämonstratenser-Chorherrenstiftes Sayn bei Neuwied nur noch der westliche Flügel erhalten blieb, stellt dieser, nicht nur für Kreuzgangliebhaber, eine besondere Kostbarkeit dar. Zum einen konnte hier im 20. Jahrhundert eine spätromanische Gewölbemalerei aus der Bauzeit des Kreuzganges um 1220/30 in all ihrer leuchtenden Farbenpracht vollständig rekonstruiert werden. Der Sayner Kreuzgangflügel bietet somit in Deutschland die einzigartige Gelegenheit, die Bedeutung einer romanischen Raumfassung für das Erscheinungsbild einer Kreuzgangarchitektur kennenzulernen. Das angeblich so finstere Mittelalter erscheint hier in kräftigen Gelb- und Rottönen, konturiert in verschiedensten Mustern, die fast modern wirken. Die strenge Architektur wird so ungemein bereichert. Farbfassungen wie in Sayn waren aber nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Doch sie konnten nur an wenigen Orten so mutig und vollständig rekonstruiert werden, auch wenn dies unseren heutigen Vorstellungen romanischer Architektur, die wir meist nur noch steinsichtig oder weißgekalkt erleben, völlig widerspricht.

Die zweite große Besonderheit des Sayner Kreuzgangflügels ist das romanische Brunnenhaus samt originalem Schalenbrunnen. Das quadratisch in den einstigen Kreuzganginnenhof vorspringende Brunnenhaus bietet genug Raum für einen aufwendigen, zweischaligen Brunnenaufbau aus vulkanischem Trachyt des Siebengebirges. Einst lieferte eine höher gelegene Quelle das Wasser, das zunächst in einem Hochbehälter am Berghang gesammelt wurde, um dann mit dem nötigen Druck den Brunnen sprudeln zu lassen. Aus einem Pinienzapfen fiel das Wasser in die oberste Schale, ergoss sich von dort in das große, untere Becken und trat schließlich durch säulengestützte Masken wieder aus, vermutlich in eine Rinne. Die Prämonstratenser konnten sich so bequem die Hände waschen, bevor sie in den gegenüberliegenden Speisesaal traten. Die aufwendige Brunnenform ist aber auch hochsymbolisch gedacht, wie der Vergleich mit dem sehr ähnlichen und aus der gleichen Epoche stammenden Taufstein im Innern der ehemaligen Abteikirche zeigt. Somit war auch die Erinnerung an die eigene Taufe, durch die eine Erlösung von der Erbsünde möglich wurde, immer präsent.

Steinfeld

Zur gleichen Zeit wie in der Sayner Abtei ließen sich auch die Ordensbrüder im Prämonstratenser-Chorherrenstift Steinfeld in der Eifel einen aufwendigen Kreuzgangbrunnen gestalten. Um 1220/30 entstanden und ebenfalls aus vulkanischem Siebengebirgsgestein gearbeitet, übernahmen ihn die Chorherren in den spätgotischen Neubau ihres Kreuzganges. Leider blieb nur die untere Brunnenschale in Mehrpassform erhalten, die mit Blattmasken als Ausgüssen geschmückt ist. Die Form erinnert fast an einen spätromanischen Messkelch.

Der spätgotische Steinfelder Kreuzgang blieb hingegen vollständig erhalten. 1492–1517 entstanden die vier Flügel in großzügigen Abmessungen mit ihren variationsreichen Maßwerkfenstern. Prächtig mit Blendmaßwerk verziert ist auch die zum Kreuzgang hin ausgerichtete Eingangsseite des Kapitelsaales. Ursprünglich war auch dieser Kreuzgang reich bemalt. Doch davon ist nichts erhalten beziehungsweise rekonstruiert worden. Der bedeutendste Schmuck war aber die vollständige Farbverglasung aller Fenster. Zwischen 1526 und 1557 stifteten Adelsfamilien, die in diesem Kloster ihre Grablege hatten oder deren Angehörige Mitglieder des Konvents waren, diesen prächtigen Glasmalereizyklus. Ausgeführt wurden die Scheiben in einer künstlerisch wie technisch qualitativ hochstehenden Kölner Werkstatt, die auch die Fenster der Schlosskirche in Schleiden und des Klosters Mariawald lieferte. Als kostbarsten Schatz und einstige Hauptsehenswürdigkeit Steinfelds ließ sie der Konvent während der zahlreichen Kriege des 17. und 18. Jahrhunderts immer wieder vorsorglich ausbauen und sicher in Kisten lagern, sodass sie bis zur Säkularisation 1802 alle erhalten blieben. Danach kamen die Scheiben auf den Kunstmarkt und so befinden sich heute viele von ihnen im Victoria and Albert Museum in London. Eine einzige kleine Glasmalerei mit dem heiligen Simon konnte für Steinfeld zurückgekauft werden und erinnert im Kreuzgang an die verlorene Pracht.

Kyllburg

Ein weiterer gotischer Kreuzgang blieb auf der Südseite der ehemaligen Stiftskirche in Kyllburg erhalten. Kirche und Kreuzgang liegen malerisch auf der Spitze des von der Kyll umflossenen Stiftsberges. Nach der Gründung des Stiftes 1276 durch den Trierer Erzbischof Heinrich II. von Finstingen zur Versorgung der nachgeborenen Söhne der Adelsfamilien der Umgebung, deren Loyalität sich der Kirchenfürst sichern wollte, entstand zunächst die Stiftskirche. Doch schon bald darauf begannen die Kanoniker auch mit der Errichtung ihres großzügigen Kreuzganges, an den sich noch das erhaltene Kapitelhaus anschließt. Gemeinschaftsräume entstanden nicht mehr, da die adeligen Stiftsherren lieber in eigenständigen Häusern im weiten Stiftsbezirk rund um die Kirche bequem und unabhängig wohnen wollten. Daher hatte der Kyllburger Kreuzgang nicht mehr die Funktion eines Verbindungsweges, sondern diente allein der regengeschützten Abhaltung von Prozessionen und der Anlage einnahmeträchtiger Grablegen.

Beinahe wäre auch dieser Kreuzgang dem Abbruch verfallen. Er überstand zwar die ersten Jahrzehnte nach der Säkularisation, doch entfernte man Dächer zur Materialgewinnung. So verkam das Areal allmählich zur Ruine. Erst Ende des 19. Jahrhunderts besann man sich auf den kunsthistorischen Wert des Kyllburger Kreuzganges, zumal der Ort auch touristisch dank der Bahnlinie Köln–Trier auflebte. Quasi in letzter Minute konnte so einer der ganz wenigen vollständig erhaltenen gotischen Kreuzgänge des Rheinlandes gerettet werden. Strebepfeiler und Maßwerkfenster sind aus dem schönen roten Sandstein der Umgebung gearbeitet und stehen in reizvollen Kontrast zum grünen Rasen des Innenhofes. Dank der abgeschiedenen Lage auf der Bergspitze erlebt der heutige Besucher diesen Ort noch in vollkommener Stille, die nur von den Rufen der um die Kirche kreisenden Dohlen unterbrochen wird – meditativer Kunstgenuss pur.

Dr. Jürgen Kaiser (geb. 1967) studierte in Marburg und Köln Kunstgeschichte, Mittelalterliche Geschichte und Provinzialrömische Archäologie. Er lebt in Köln als Sachbuchautor und Kulturreiseleiter. Gemeinsam mit dem Fotografen Florian Monheim veröffentlichte er im Greven Verlag Köln zahlreiche Bücher, zuletzt 2019 Macht und Herrlichkeit – die großen Kathedralen am Rhein von Konstanz bis Köln.