Themenwelt
von Gabi Langen
Die Markthallen von Paris bilden in dem 1873 erschienenen Roman Der Bauch von Paris von Émile Zola die Kulisse. Zolas anschauliche Beschreibungen des Marktes sind nicht gerade appetitanregend, weitab von unseren heutigen hygienischen Vorstellungen ist da von Blut, Verwesung und allerlei Getier die Rede, aber eindrucksvoll wird die Atmosphäre, die Vielfalt an Waren und die dort herrschende lebhafte Betriebsamkeit vermittelt. Entstanden zwischen 1852 und 1874, waren »Les Halles« in Paris Vorreiter bei der Entwicklung, die offenen, oft von Schlamm und Kot verseuchten und verkehrsbehindernden Marktplätze durch saubere Hallen zu ersetzen. Neuregelungen des Marktwesens, die unter anderem die Einführung eines zentralen Zwischenhandels und eines geregelten Warentransports vorsahen, waren in den immer weiter wachsenden Großstädten zwingend notwendig. Großmärkte wurden Teil kommunaler Daseinsfürsorge, städtische Marktverwaltungen entstanden.
Seit der Römerzeit fand das Kölner Marktgeschehen in der Rheinvorstadt, auf einer der Kernstadt vorgelagerten Insel statt. In den folgenden Jahrhunderten entstand hier mit dem Alter Markt und dem Heumarkt ein dicht bebautes, zusammenhängendes Marktviertel, der »Mercatus Coloniae«. Das Privileg, unter dem Schutz eines Marktherren – in Köln war es Erzbischof Brun, der 953 der Stadt Köln erstmals das Marktrecht verlieh – einen ständigen Markt abhalten zu dürfen, war ein wirksamer Faktor im Stadtentwicklungsprozess. Der Marktherr garantierte die Freiheit des Handelsverkehrs und die Sicherung der Verkehrswege. Die mittelalterlichen Kölner Marktplätze wurden zum räumlichen und sozialen Zentrum städtischen Lebens. Die im 18. und 19. Jahrhundert stetig wachsende Bevölkerung erforderte aber auch hier immer größere Mengen an Lebensmitteln und Waren, die offenen Märkte wurden zu schmuddeligen, unhygienischen Plätzen. Der 1869 gegründete Niederrheinische Verein für öffentliche Gesundheitspflege gab den Anstoß zur Errichtung einer ersten Kölner Markthalle. Dieses im Vergleich zu den Pariser Hallen eher bescheidene Gebäude wurde 1886 in der Severinstraße eröffnet und sollte die unhaltbaren Zustände am Waidmarkt verbessern.
Sehr viel imposanter war dagegen die von Architekt Otto Müller-Jena (1875–1958) entworfene dreischiffige »Centralmarkthalle« am Sassenhof (Heumarkt), die 1904 ihre Tore öffnete. Zeitgleich mit dem Bau erfolgte die Sanierung des unansehnlich gewordenen Stadtviertels rund um den Heumarkt. Die gesamte Fläche betrug einschließlich eines Eisenbahnanschlusses immerhin 8572 Quadratmeter. Laut Protokoll der Stadtverordnetenversammlung vom 30. Juni 1904 war die Halle dazu bestimmt, die Wochenmärkte am Alter Markt, am Heumarkt und die damit zusammenhängenden Märkte am Marsplatz, am Rhein und in der Fleischhalle in sich aufzunehmen. Nur in den Sommermonaten durfte der Heumarkt weiterhin als offener Markt genutzt werden. Die innerstädtische Lage sollte sich aber schon bald als schwerwiegendes Verkehrsproblem erweisen.
Nach dem Ersten Weltkrieg gab es erstmals Überlegungen zum Neubau einer Großmarkthalle an der Peripherie. Über die Notwendigkeit eines zentralen Marktes war man sich parteiübergreifend einig, aber die Suche nach einem geeigneten Standort sollte langwierig werden. Ein Eisenbahnanschluss zum Transport der Frischware war unumgänglich, wenn man die Handelskapazitäten beibehalten und sogar ausbauen wollte. Diesbezügliche Verhandlungen mit der Reichsbahn zogen sich über mehrere Jahre hin. Erste Pläne für eine Halle am Eifeltor wurden von der Reichsbahndirektion abgelehnt, obwohl die Stadt dort bereits 1927 ein großes Areal erworben hatte. Schließlich einigte man sich auf das von der Reichsbahn bevorzugte Gelände am Güterbahnhof Bonntor. Um die notwendigen Verkehrswege und Freiflächen bereitzuhalten, hätte allerdings auch der alte jüdische Friedhof (»Judenbüchel«) weichen müssen. Verhandlungen mit der israelitischen Gemeinde über die Friedhofsgrenzen sollten das Problem lösen. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten wurde das Projekt aber in den kommenden Jahren immer wieder hintangestellt.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde das Kölner Marktwesen neu strukturiert. Alle an der Erzeugung, Verarbeitung und Verbreitung landwirtschaftlicher Produkte beteiligten Personen wurden im »Reichsnährstand« vereinigt mit dem Ziel der Lenkung und Kontrolle, der Regulierung der Märkte und Preise sowie der ideologischen Ausrichtung, zum Beispiel durch starke Begrenzung ausländischer Ware. Städtebaulichen Sanierungsplänen für die Kölner Altstadt zufolge sollte die Markthalle am Sassenhof weichen; erste Absichten, den Großhandel in die Osthalle der Kölner Messe zu verlegen, wurden aber nicht verwirklicht. Stattdessen setzte man nun den ursprünglichen Plan des Neubaus am Güterbahnhof Bonntor um.
Der jüdische Friedhof wurde 1936 zwangsweise aufgehoben und die Gebeine auf den Friedhof in Bocklemünd überführt. Im gleichen Jahr erfolgten umfangreiche Planierarbeiten und der Baubeginn für eine Versteigerungshalle. Dieses im Bauhaus-Stil errichtete Gebäude wurde ein Jahr später von der Erzeuger-Großmarkt GmbH in Betrieb genommen. Für die Pläne der daneben liegenden Großmarkthalle zeichneten Stadtbaumeister Theodor Teichen (1896–1963) und der für den Baukonzern Dyckerhoff & Widmann tätige Bauingenieur Ulrich Finsterwalder (1897–1988) verantwortlich. Finsterwalder hatte sich bereits mit dem Bau der Frankfurter Markthalle einen Namen gemacht, weil mithilfe seiner einzigartigen Betonschalenkonstruktion große Flächen stützenfrei überdacht werden konnten.
Am 21. Mai 1939 konnte das Richtfest an der Großmarkthalle begangen werden; die Jahreszahl war neben dem Wappen der »Hansestadt Köln« und dem Reichsadler mit Hakenkreuz über dem Verwaltungseingang angebracht, auffallend war zudem die große Uhr über der Toreinfahrt. Der Umzug der Händler von der Markthalle am Sassenhof zum Bonntor erfolgte im Laufe des Frühjahrs 1940, nachdem die Marktverwaltung in Zusammenarbeit mit der NSDAP-Kreisleitung die parteipolitische Überprüfung der Händler abgeschlossen hatte. Die offizielle Eröffnung folgte im November 1940. Im Zentralblatt der Bauverwaltung veröffentlichte Theodor Teichen 1941 einen Artikel über das Kölner Großmarktprojekt. Danach zeige der Bau »bei aller Zweckgebundenheit eine architektonische Haltung von eindrucksvoller Klarheit« und mit der »Konstruktion des großen Tonnengewölbes und dem feingliedrigen Aufbau der hohen Fensterreihen« sei ein Bau von »eigener Monumentalität« entstanden. Er betonte, dass die Stadt Köln »über den Rahmen des rein Zweckmäßigen hinaus« bestrebt gewesen sei, »eine Kulturaufgabe zu erfüllen«.
Nur drei Jahre später wurde das Großmarktgelände von mehreren Bomben getroffen, die das Hallendach und die gesamte Verglasung zerstörten und zahlreiche Bombentrichter auf dem Gelände hinterließen. Nach Kriegsende nutzten Soldaten der US-amerikanischen Besatzung die Halle zunächst als »Autopark«, genehmigten aber bereits ab Mai 1945 eine Öffnung der Stände im Außenbereich. Allerdings fehlten die Waren, Saatgut und Düngemittel waren kaum vorhanden. Schwarzhandel, Hamsterkäufe, Brennstoffmangel und Einschränkungen durch die Zonengrenzen behinderten in den ersten Nachkriegsjahren einen geregelten Marktverkehr. Bis 1950 waren jedoch mehr als 200 Verkaufsstände im Innen- und Außenbereich wieder aktiv und der Kölner Großmarkt war auf dem besten Wege, erneut der größte Umschlagplatz für Frischware im Westen Deutschlands zu werden. In den 1970er-Jahren folgten große Erweiterungen im Außenbereich und der Bau einer Importhalle. Seit der Eröffnung wuchs die Fläche von 70 000 auf mehr als 230 000 Quadratmeter, sodass der Großmarkt Köln heute zu den größten Deutschlands gehört. 1989 wurde die Großmarkthalle unter Denkmalschutz gestellt.
Fast 1,2 Millionen Tonnen Lebensmittel aus nah und fern wandern jährlich durch den Bauch von Köln. Seit den 1950er-Jahren entwickelte sich der Großmarkt mehr und mehr in Richtung Importmarkt. Frisches Obst und Gemüse, Fleisch, Wild und Geflügel, Feinkostwaren aus Griechenland, dem Balkan oder der Türkei, orientalische Spezialitäten und vieles mehr spiegeln die kulinarische Vielfalt der Stadt und ihrer Bewohner. Zu den rund 5000 Kunden gehören der Lebensmitteleinzelhandel, Wochenmarkthändler, Kantinen, Restaurants, Hotels und andere Großverbraucher wie Krankenhäuser und Altenheime. An Privatpersonen wird nicht verkauft. Trotz der zunehmenden Konkurrenz durch die großen Handelsketten konnte der Großmarkt seine Stellung behaupten. Vor allem die beliebten Wochenmärkte im Umkreis von fast 200 Kilometern leben von der Existenz eines Großmarktes. Neben den 150 Importeuren bieten einige Firmen auch Dienstleistungen aus dem Gastronomie- und Einzelhandelsbereich an. Seit 1998 unterstützt die Interessengemeinschaft Kölner Großmarkt e.V. die ansässigen Unternehmen zwecks »Förderung und Pflege des Marktgeschehens«.
Nacht für Nacht, sechs Tage die Woche von 0 Uhr bis 14 Uhr stehen die Händler mit ihren Waren bereit. Die Stimmung auf dem Gelände ist in dieser Zeit eine ganz besondere. Eine Gastronomie, Post, Sparkasse, Friseurladen und Arbeiterunterkünfte ließen den Kölner Großmarkt vor allem in früheren Jahren zu einem eigenen kleinen Kosmos werden und er war beliebter Anziehungspunkt für Nachtschwärmer, aber auch für bekannte Größen des Kölner Milieus. Viele Geschichten ranken sich um das Treiben in der Halle, über prominente Stammkunden wie Peter Müller oder Schäfers Nas, über frühmorgendliche Zockerrunden oder ausschweifende Feste während der fünften Jahreszeit. In der unmittelbaren Nachkriegszeit blühten Schwarzhandel und sogenannte Kompensationsgeschäfte. Der Import von exotischen Tieren geschah zuweilen unbeabsichtigt, andere unliebsame Waren fanden durchaus mit Vorsatz den Weg in die Halle.
In den vergangenen Jahren ist es ruhiger geworden in der Halle, viele Stände sind verlassen, die Gastronomie seit 2008 geschlossen. Der Grund: Laut Beschluss des Rates der Stadt Köln muss der Großmarkt seinen angestammten Platz, den er nun seit mehr als achtzig Jahren innehat, verlassen. Einige Händler hat das verunsichert. Geplant ist eine Umsiedelung des Kölner Großmarktes 2023 an den neuen Standort in Köln-Marsdorf. Hier regt sich allerdings Widerstand, eine Bürgerinitiative wurde gegründet und die ortsansässigen Bürgervereine laufen Sturm. Sie befürchten eine noch höhere Verkehrs- und Lärmbelastung im Kölner Westen. Die zum Teil schon in dritter Generation auf dem Großmarkt tätigen Händler sind durchaus bereit zu einem Neuanfang an einem neuen Standort. Allerdings ist bislang in dieser Hinsicht wenig geplant, während die Vorarbeiten für die neue Parkstadt Süd, die ab 2021 im Umfeld der denkmalgeschützten Halle gebaut werden soll, im vollen Gange sind. Die Chance, dem Trend zu nachhaltigerem Konsum und Ressourcenschonung zu folgen, regionale Erzeuger zu stärken und dem Wunsch nach fairem Handel nachzukommen, wäre mit einer Neukonzeption des Kölner Marktgeschehens gegeben. Es wäre sicher ein Verlust, wenn Köln zukünftig ohne seinen Bauch auskommen müsste.
Dr. Gabi Langen (geb. 1959) ist Sporthistorikerin, Kuratorin und Autorin von Sachbüchern zur Kölner Sportgeschichte. Seit einiger Zeit erforscht sie die Geschichte des Kölner Großmarktes, der auch ein Teil ihrer Familiengeschichte ist.