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Das Siebengebirge

Bedrohte Schönheit

von Jürgen Kaiser

Im Rheinland nimmt man es ja bekanntlich nicht immer so ganz genau. Und so benannten die Kölner die südlich gelegene, markante Vulkanlandschaft einfach nach den sieben Bergen, die von ihrer Perspektive aus zu sehen waren. Wer nun als fitter Wanderer meint, mit dieser Siebenzahl gleich das ganze »Gebirge« ablaufen zu können, wird erstaunt feststellen, dass ihn dort über fünfzig Berge und Anhöhen erwarten.

Eine etwas lapidarere Erklärung des irreführenden Namens geht wohl auf die Bezeichnung »Siefen« zurück, also tief eingegrabene kleine Bachtäler, die das Siebengebirge zerfurchen.

Wie dem auch sei: das Siebengebirge gehört zu den botanisch wertvollsten, aber auch am meisten genutzten Landschaft des Rheinlandes. Wer am Wochenende dort unterwegs ist, wird zustimmen, dass die etwas spöttische Bezeichnung »Bonner Stadtwald« durchaus ihre Berechtigung hat. Denn dann kommt die touristische Nutzung fast schon an ihre Grenzen. Um dem entgegenzuwirken, entstand die ambitionierte Idee, das Siebengebirge zu seinem Schutz zum Nationalpark zu erklären. Doch allzu engstirnige Anlieger brachten das Projekt leider zu Fall. Immerhin kann sich das Siebengebirge damit schmücken, im inneren Bereich 1922 zum ersten Naturschutzgebiet und, etwas großräumiger, 1956 zu einem der ersten Naturparks Deutschlands erklärt worden zu sein. Seit 1869 betreut der Verschönerungsverein für das Siebengebirge (VVS) diese einzigartige Kultur- und Naturlandschaft.

Doch damals sorgte weniger die Besucherzahl für eine Bedrohung der Natur, sondern schlicht das Vulkangestein, aus dem das Siebengebirge besteht. Es war als Baumaterial derart begehrt, dass besonders mit den industriellen Abbaumethoden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine irreversible Totalzerstörung drohte. Schon die Römer legten dort Steinbrüche an, war doch der Transport des Baumaterials für die rheinabwärts liegenden Städte und Kastelle über den Fluss logistisch perfekt zu bewerkstelligen. Ab dem 11. Jahrhundert wuchsen nicht nur in Köln, sondern auch an anderen Orten wie Neuss und Xanten große romanische Kirchen in den Himmel, errichteten reiche Händler nun Steinhäuser, das Ganze abgesichert mit weitläufigen Stadtmauern. Und so griffen auch die romanischen und gotischen Baumeister auf das Siebengebirge zurück. Der Steinbruch für die mittelalterlichen Teile des Kölner Domes ist heute noch am Drachenfels erkennbar.

Im Spätmittelalter entdeckten findige Königswinterer Handwerker, dass der Trachyttuff besser zum Bau weitaus hitzebeständigerer Backöfen geeignet war als das bisher verwendete Steinmaterial. Daraus entwickelte sich eine höchst erfolgreiche Ofenindustrie, der erst durch die Einführung von Gas- und Elektrobacköfen im frühen 20. Jahrhundert der Garaus ausgemacht wurde. Da das Material untertägig abgebaut wurde, durchziehen ausgedehnte Stollensysteme das Siebengebirge. Heute dienen sie unterschiedlichsten, teils seltenen Fledermausarten als Quartier. Das Siebengebirge war seit der Römerzeit auch Bergbauregion, fand man hier doch Kupfer, Blei und Zink.

Eine breite Öffentlichkeit erkannte die Bedrohung durch den massiven Trachytabbau erst 1827, als Teile der Burgruine Drachenfels dadurch abstürzten. Der allgemeine Aufschrei über die Zerstörung dieser Ikone der Rheinromantik war derart laut, dass er auch den preußischen König erreichte. Dieser ließ den Steinbruch sofort stilllegen und kaufte etwas später das ganze Gelände rund um den Drachenfels auf. Ab 1827 brachten die Schiffe der Köln-Düsseldorfer Gesellschaft und dann zusätzlich seit 1844 die Eisenbahn Touristen in Scharen hierher.

Zur Erleichterung des steilen Aufstiegs setzten geschäftstüchtige Königswinterer dann Esel ein, welche die Besucher hinauftrugen.

1883 entstand dann die älteste noch heute betriebene Zahnradbahn, wodurch der Drachenfels endgültig im Zeitalter des Massentourismus angekommen war.

2013 ersetzte als vorerst letzte touristische Baumaßnahme ein neues Panoramarestaurant den unförmigen Betonbau der 1970er-Jahre, der auch im Innern mit seinem Charme einer heruntergekommenen Autobahnraststätte doch arg aus der Zeit gefallen schien.

Auf halber Höhe von Königswinter hinauf zum Drachenfels erhebt sich Schloss Drachenburg. Mit seinen Türmchen, Zinnen, großen Maßwerkfenstern und weitläufigen Terrassen ist es ein steingewordener Traum der Neugotik. Verwirklichen ließ ihn 1882–84 ein Bonner Gastwirtssohn, der es in Paris als Aktienspekulant zu einem sagenhaften Vermögen gebracht hatte. Und so konnte er bei seinem repräsentativen Bauprojekt aus dem Vollen schöpfen, um jedem seinen einzigartigen Aufstieg vor Augen zu führen.

Ein weiteres schlossartiges Bauwerk krönt den benachbarten Petersberg. Diese Erhebung gehört zu den geschichtsträchtigsten Orten des Siebengebirges: Archäologische Ausgrabungen konnten nicht nur einen keltischen Ringwall nachweisen, sondern auch die Fundamente einer romanischen Klosterkirche freilegen. Nachdem die Zisterzienser die Gründung übernommen hatten und ins Tal verlegen ließen, wurde der Berg Wallfahrtsort zum heiligen Petrus. Von den umliegenden Dörfern zogen einst fünf sogenannte Bittwege zur barocken Kirche hinauf, die zum Teil noch an ihren Wegkreuzen und Prozessionsaltären zu erkennen sind.

1889 war es mit den idyllischen Zeiten auf dem Petersberg vorbei: Ein großer, mondäner Hotelbau entstand, und eine Zahnradbahn brachte bis 1958 Besucherströme herauf, die den prachtvollen Blick auf Bonn und den Rhein genossen. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die bedeutende politische Geschichte des Petersberges: 1949–52 war das Hotel Sitz der Alliierten Hohen Kommission und damit Zentralstelle der westlichen Siegermächte. Danach diente es als repräsentatives Gästehaus der Bundesrepublik Deutschland, nachdem Bonn Hauptstadt geworden war.

Hochrangige politische Gäste empfing Bundeskanzler Konrad Adenauer gerne auch im privaten Rahmen seines Wohnhauses am Hang des Siebengebirges in Rhöndorf.

Etwas versteckt in einem Tal unterhalb des Petersberges erheben sich die spärlichen Ruinen der Abtei Heisterbach. Nach der Enteignung und Vertreibung der Mönche im Zuge der Säkularisation 1803 und dem fast völligen Abriss der Klostergebäude künden allein noch die Überreste der spätromanischen Apsis von der vergangenen Pracht. 1189 erhielt der Zisterzienserorden den Petersberg zur Klostergründung. Doch schon 1192 verließen sie die ungeeignete Bergspitze und zogen ins Tal. Denn der Orden war ein Meister der mittelalterlichen Wasserbautechnik, legte große Fischteiche, Mühlen, Frisch- und Abwasserleitungen samt wassergespülten Gemeinschaftstoiletten an – ein ungewöhnlich hoher Hygienestandard im Vergleich zu zeitgenössischen Städten. Noch heute finden sich im Wiesengelände auf der anderen Straßenseite Dämme der abgelassenen Teiche. Die Zisterzienser formten die gesamte Umgebung tiefgreifend um, legten Steinbrüche, Obstwiesen, Gärten, Stallungen und Weinberge rund um ihr Kloster an. Zahlreiche Gräben führten das notwendige Wasser künstlich herbei, um dem Mangel an Quellen abzuhelfen.

1918 nahm die Schwesterngemeinschaft der Cellitinnen das klösterliche Leben wieder auf; heute betreibt sie dort ein großes Seniorenheim in neu errichteten Gebäuden. Das benachbarte Ruinengelände der Abtei dient seit dem frühen 19. Jahrhundert als malerischer Landschaftspark der Erholung.

Unweit von Heisterbach bietet der Weilberg einen spektakulären Einblick in die vulkanische Entstehungsgeschichte des Siebengebirges. Was zunächst wie ein gut erhaltener Vulkankrater erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als stillgelegter Steinbruch der jüngeren Vergangenheit. Wie in einem geologischen Lehrbuch bietet er die ganze Palette vulkanischen Gesteins dar, die das Siebengebirge einst so interessant für die Bauindustrie machte und damit beinahe zerstört hätte.

Dr. Jürgen Kaiser (geb. 1967) studierte in Marburg und Köln Kunstgeschichte, Mittelalterliche Geschichte und Provinzialrömische Archäologie. Er lebt in Köln als Sachbuchautor und Kulturreiseleiter. Gemeinsam mit dem Fotografen Florian Monheim veröffentlichte er im Greven Verlag Köln zahlreiche Bücher, zuletzt 2019 Macht und Herrlichkeit – die großen Kathedralen am Rhein von Konstanz bis Köln.