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Braunkohletagebau im Rheinischen Revier

Zwischen Vergangenheit und Zukunft: eine Landschaft, geprägt von der Kohle

von Benjamin Peterle-Pick

1. Vergangenheit

Das Rheinische Braunkohlerevier erstreckt sich westlich des Rheins in der Kölner Bucht zwischen Bonn, Aachen und Mönchengladbach. Es ist das größte geschlossene Braunkohlevorkommen Europas. Während in manchen Landstrichen dieser Gegend die von weither sichtbaren alten Abraumhalden längst wieder überwuchert sind und ihr unnatürlicher Ursprung für die Unwissenden kaum erkennbar ist, Restlöcher mit Wasser gefüllt wurden und sich als beliebte Badeseen in eine grüne Landschaft fügen, klaffen andernorts riesige braune Löcher in der Landschaft, deren Ausmaße sich fast nur aus dem Weltall erfassen lassen. Wer genau hinschaut, sieht die Spuren der Braunkohleförderung hier allerorts: Rund um Köln streben die Schlote der chemischen Industrie in den Himmel und die Wolken aus den Kühltürmen der Kraftwerke im Westen und Norden gehören zum Landschaftsbild in vielen Gegenden fast selbstverständlich dazu.

Bereits in der frühen Neuzeit, im späten 17. Jahrhundert, wurde die Braunkohle in der Region in eher kleinem Umfang als Brennmaterial genutzt und abgebaut. Auf der Suche nach Ton wurde sie als Nebenprodukt gefunden, aus dem Boden geholt, getrocknet und zu brennbaren Klütten gepresst. Mit dem großflächigen, industriellen Abbau, zunächst im sogenannten Südrevier, wurde dann in den 1870er-Jahren begonnen. In der Zeit der Hochindustrialisierung benötigten die Fabriken eine zuvor nie gekannte Menge an Energie, die durch das Verbrennen der Kohle bereitgestellt werden konnte. Besonders der Bau der Eisenbahnen, die Weiterentwicklung dampfbetriebener Entwässerungspumpen und die maschinelle Pressung von Briketts in Fabriken begünstigten diese Entwicklung, sodass die gezielte Förderung in den 1880er und 90er-Jahren stetig wuchs. Unternehmerische Pioniere im Süden des Rheinischen Reviers waren Hermann Gruhl und Hermann Bleibtreu mit dem Gruhlwerk bei Brühl, deren Firma und Aktiengesellschaft später in die Rheinbraun und schließlich in die Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG (RWE) überging. Die unternehmerischen Kontinuitäten reichen bis heute.

1914 gingen der Tagebau Zukunft und das Kraftwerk Weisweiler im Westen des Reviers in Betrieb. Im Nordrevier wurde 1907 zwischen Neurath und Garzweiler durch den Aufschluss des Feldes Rheingold mit dem kommerziellen Abbau begonnen. Es siedelten sich Unternehmen an, die die Nähe zur Kohle und damit zu günstiger Energie nutzten. Besonders die chemische Industrie, die heute noch im Chemiegürtel um Köln ansässig ist, wuchs in einer Symbiose mit der Kohleverstromung. Orte wie Hürth wurden durch die Industrialisierung von kleinen Dörfern zu Industriestädten und wohlhabenden Gemeinden. Die Braunkohle war dort der zentrale Wirtschaftsfaktor und Grundlage für einen neuen Reichtum. Straßennamen und ehemalige Bergmannssiedlungen zeugen davon bis heute.

Nachdem die Förderung der Braunkohle bis in die 1980er-Jahre weiter stieg um zu dieser Zeit ihren Höhepunkt zu erreichen, geht seither der Verbrauch, auch aufgrund immer effizienterer Kraftwerke, langsam wieder zurück. Heute wird nur noch in drei Großtagebauen im Rheinischen Revier gefördert: Inden, Hambach und Garzweiler II.

Zehntausende Menschen wurden seit 1948 und bis heute für diese großflächigen Gruben umgesiedelt, Ortschaften wurden zerstört und jahrhundertealte Schlösser, Kirchen und Häuser abgerissen. Oftmals wurden ganze Dörfer, ehemals landwirtschaftlich geprägt, an einen neuen Standort verpflanzt. Die Dorfgemeinschaften wurden dadurch tiefgreifend verändert und die sozialen Gefüge gestört, das Leben in den Neubausiedlungen glich häufig einem großangelegten sozialen Experiment. Mit dem Verlust von Identifikationspunkten durch das Abbaggern historisch gewachsener Lebensräume gewannen gleichzeitig Vereine und Institutionen für den Zusammenhalt und die Orientierung der Bevölkerung an Bedeutung.

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2. Bilder aus dem Revier

Die Bilder aus dem Rheinischen Braunkohlerevier, die sich im Greven Archiv Digital finden, lassen sich in drei Gruppen einteilen. Die Einordnung folgt chronologisch der Abfolge der Kohlegewinnung und der damit einhergehenden Veränderung der Landschaft, ein Prozess der sich in den neu erschlossenen Gebieten stets wiederholte.

Zur ersten Gruppe zählen Bilder der Dörfer, die für die Tagebaue abgebaggert werden sollen. Abgebildet werden die Orte vor, während und nach den Abbrucharbeiten. Dazu zählen auch die Dokumentationen des Protests dagegen, Fotografien der sich leerenden Dörfer, der Straßen, Kirchen und Häuser sowie Porträts der zurückgebliebenen Einwohner:innen.

Die zweite Gruppe besteht aus Bildern der Kohleförderung. Fotografiert wurden die Gruben, Gelände, das wie Mondlandschaften anmutet, Abbruchkanten und vor allem die Schaufelradbagger aus der Nähe oder Ferne. Die Arbeiter wirken in den Tagebauen verschwindend klein. Auch Fabrik- und Industrieanlagen mit Kühltürmen sind ein häufig gewähltes Motiv. Liegen keine genaueren Angaben für die Fotografien aus den Gruben mehr vor, lassen sich diese kaum mehr lokalisieren und datieren, so sehr ähneln sich die kargen Oberflächen ohne Orientierungspunkte.

Bilder der rekultivierten Landschaften bilden die dritte Motivgruppe. Häufig fotografiert wurden Menschen an Badeseen, ehemaligen Restlöchern der Kohlegewinnung. Luftaufnahmen von Flächen, die für die Landwirtschaft oder als Naherholungsgebiete wieder renaturiert wurden, zeigen, wie stark der menschliche Eingriff in die Natur die Landschaften geprägt hat.

Vergleichsweise viele der Fotograf:innen, deren Bilder das Portal zeigt, haben über die Zeit der Braunkohleförderung das Rheinische Revier besucht. Sie folgten dabei unterschiedlichen Motivationen und dokumentierten verschiedene Phasen und Orte der industriellen Braunkohlegewinnung sowie deren Folgen. Sicher einte sie eine Faszination oder aber auch ein Erschrecken angesichts dieser Region mit ihren künstlich geschaffenen, außerirdisch anmutenden Landschaften, ihren Konflikten, ihren Innovationen, ihrem rasanten landschaftlichen und sozialen Wandel und ihren Menschen. Die frühesten Braunkohle-Fotografien im Greven Archiv Digital stammen aus der Kölnischen Rundschau, sie zeigen die Kohleförderung mithilfe von Dampflokomotiven im Gruhlwerk in den 1930er-Jahren. Die aktuellsten Bilder dokumentieren den Abriss der letzten Dörfer für den Tagebau Garzweiler II um 2010 sowie den Protest dagegen.
Die Infrastruktur und die Maschinen, die für die Förderung und die Verarbeitung der Kohle genutzt wurden, haben sich im Verlauf der Jahrzehnte zwar modernisiert, in ihrer Erscheinung jedoch nicht wesentlich verändert. Wasserleitungen, Förderbänder, Güterzüge, Eisenbahntrassen, Stromleitungen, rauchende Schlote und Kühltürme sind wiederkehrende Motive aus der gesamten Ära der industriellen Braunkohlegewinnung. Wegen ihrer auffäligen Symbolkraft vermutlich am häufigsten fotografiert wurden die Schaufelradbagger, diese riesigen Konstrukte aus Stahl, die bereits seit den 1930er-Jahren in den Gruben zum Einsatz kommen.

Der Fotograf Peter Fischer dokumentierte in den 1960er-Jahren sowohl die Braunkohleförderung im Südrevier rund um Erftstadt als auch Badende an den neu entstandenen Seen im rekultivierten Gebiet der Ville. Heutige Besucher:innen der Ville-Seenplatte zwischen Brühl, Erftstadt und Frechen, Ausflügler:innen an den Restlöchern wie dem Bleibtreusee, dem Liblarer See oder dem Otto-Maigler-See ahnen oftmals nicht, wie das Gelände noch Jahrzehnte zuvor aussah, wie schnell sich die Landschaft hier verändert hat.

Die Bilder von Christel Fomm zeigen das Leben auf einem Bauernhof, der sehr bald dem näher rückenden Tagebau weichen wird. Die Bilder der Menschen mit den Baggern, die sich bereits in Sichtweite befinden, erzeugen in ihrer eindrücklichen Schwarz-Weiß-Optik eine endzeitliche Stimmung und sind eindrückliche Dokumente gegen das Vergessen. Fomm hielt in den 1980er-Jahren eine Lebenswelt fest, die bald schon verschwinden sollte. Bei ihr stehen die Menschen im Fokus.

Andreas Fragel reiste immer wieder nach Erkelenz-Immerath im Gebiet des Braunkohletagebaus Garzweiler II, das Dorf wurde ab 2006 umgesiedelt. Er dokumentierte unter anderem, wie die Dörfer Spenrath und Holz langsam ausstarben. Fragel fotografierte Häuser mit verbarrikadierten Fenstern und Türen, den „Immerather Dom“, zunächst noch voller Menschen beim Gottesdienst, der 2018 schließlich abgerissen wurde. Zu seiner Dokumentation zählen auch Bilder eines Klimacamps, einer Form des organisierten Protests gegen den Abriss der letzten von der Braunkohleförderung bedrohten Dörfer.

Auch Florian Monheim interessierte der Prozess der Auslöschung. Von den Abbrucharbeiten im heute abgebaggerten Erkelenzer Ortsteil Pesch zeigte er ein Vorher-Nachher der Ortschaft von 2009 bis 2012. Beeindruckend ist die zunächst noch intakte historische Hofanlage Haus Pesch, von der nach dem Abriss nur noch Teile der Grundmauern in einer Brachlandschaft übrigbleiben.

3. Zukunft

Auf der Rückseite eines Luftbilds des Wald-Seen-Gebiets Brühl-Liblar der Luftbildstelle Rheinbraun heißt es: »Nichts erinnert mehr daran, daß hier früher einmal Braunkohletagebaue waren«.
Dieser Aussage entgegen stehen die Bilder im Greven Archiv Digital, sie geben die Möglichkeit, zurückzuschauen und dabei viele Perspektiven und Blickwinkel nebeneinander zu stellen. Die Fotografien bilden einen Ausgangspunkt, um zu fragen: Wie lässt sich an die Geschichte des Braunkohletagebaus im Rheinischen Revier erinnern und wie geht es mit der Region nach dem Ende der Tagebaue weiter?
Denn die Kohle hat ihre Spuren hinterlassen, in der Landschaft und in den Menschen. Der Stolz der Kumpel auf ihre Lebensleistung, auf die mit der Kohle zusammenhängende Kultur, die das Berufs- und Alltagsleben, die Sprache und den Raum über Jahrzehnte prägte, trifft heute auf eine zunehmende Ablehnung in einer Bevölkerung, die die Verbrennung von Kohle zur Energiegewinnung als nicht mehr zeitgemäß erkannt hat. Ängste davor, ein Stück Identität zu verlieren, treffen auf die Ängste einer neuen Generation, der die globalen Auswirkungen des Raubbaus an der Natur so bewusst sind wie keiner je zuvor.

Der Ausstieg aus der Nutzung der Braunkohle als Energieträger ist heute eine beschlossene Sache, spätestens 2038 wird die Kohleverstromung enden, im Rheinischen Revier soll 2030 Schluss sein mit der Förderung. Das Abwägen des Profits, des wirtschaftlichen, direkten Gewinns gegen den Schaden für die Umwelt und Natur, regional und global für die umgesiedelten Menschen in den Dörfern und für diejenigen, die an den globalen Folgen des menschengemachten Klimawandels leiden, kann nur das Ende der Tagebau zur Folge haben. Die Absenkung des Grundwasserspiegels durch das Abpumpen, der Verlust von Ökosystemen und biologischer Vielfalt, die Rodung alter Waldflächen zur Verbrennung der emissionsreichen Braunkohle sind heute in einer Zeit mit gestärktem Bewusstsein für den Klimawandel und seine Folgen kaum mehr politisch vermittelbar.

Wie der Strukturwandel in der Region gestaltet werden soll, ist jedoch ebenso umstritten wie die Nutzung der riesigen Flächen der Großtagebaue in der Zukunft. Die Suche nach neuen Arbeitsplätzen und die Ansiedlung einer umweltfreundlicheren Industrie ist im Prozess. Die Fotografie wird diese Entwicklungen sicher auch weiterhin begleiten. Mit ihrer Hilfe werden sich Geschichten darüber erzählen lassen, wie sich die Landschaft in wenigen Jahrzehnten weiter verändert haben wird und wo sich der Mensch darin verortet.