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Blankenheim in der Eifel – Residenz im Niemandsland

von Jürgen Kaiser

Zumindest aus Autofahrersicht ist in Blankenheim noch immer die Welt zu Ende, wartet doch die A 1 dort seit Jahrzehnten auf ihren Weiterbau. Und so muss in Blankenheim jeder abfahren, möchte er nun dorthin oder eben nicht. Ein netter Eifelort mit Jugendherbergsburg und einem fröhlichen Karneval – das ist wohl, was die meisten überhaupt über diesen Ort wissen. Und, ach ja, natürlich die Ahrquelle, die mitten im Dorf unter einem Fachwerkhaus entspringt.

Doch lohnt sich gerade in Blankenheim ein tieferer Blick in die weitaus glanzvollere Vergangenheit, die stellenweise noch aus dem dörflichen Erscheinungsbild aufblitzt. Denn die zur Jugendherberge ausgebaute Burg war jahrhundertelang die prachtvolle Residenz der Grafen von Manderscheid, deren Territorium sich im Spätmittelalter durch Erbschaften bis nach Gerolstein und Schleiden vergrößerte.

Die großflächige Burg konnte durchaus mit Superlativen aufwarten – wie etwa mit einer der frühesten Antikensammlungen Deutschlands oder mit einer ebenso einzigartigen Frischwasserleitung hoch zur Burg. Man fragt sich allerdings, wie die Grafen zu einem derartigen Reichtum gelangen konnten, mit dem dies erst möglich war. Denn außer Landwirtschaft und Wäldern ist beim Rundblick nichts erkennbar, was sich zu Geld machen ließe. Doch der Reichtum schlummerte unter der Erde in Form wertvoller Erze, vor allem Eisen, das in der Umgebung von Blankenheim im Mittelalter abgebaut und verhüttet wurde. Um das Eisen auszuschmelzen, waren große Mengen Holzkohle vonnöten, was zur allmählichen Abholzung der Wälder führte, gab es doch damals noch keine nachhaltige Forstwirtschaft. Und so erscheint die Umgebung auf frühen Fotografien oder Gemälden als weitgehend baumlose Hügellandschaft mit Wacholdersträuchern. An vielen Orten der Eifel war dies ähnlich, denn auch dort wurde jahrhundertelang Eisen abgebaut und verhüttet. Erst die Zugehörigkeit zu Preußen ab 1815 brachte die großflächige Aufforstung zu dem, was wir heute unter der Eifel als waldreichem Naherholungsgebiet verstehen. Der Bergbau lohnte sich nun nicht mehr und verschwand.

Doch als die Preußen das Rheinland samt Eifel nach dem Wiener Kongress und damit der Neuordnung Europas in der Folge der Niederlage Napoleons zugeschlagen bekamen, waren in Blankenheim die glanzvollen Zeiten als Residenz und Herrschaftsmittelpunkt endgültig vorbei. Denn 1794 eroberten französische Revolutionstruppen das linke Rheinufer. Die letzte Gräfin Augusta musste fliehen und nahm alles Wertvolle mit, was sich auf Wagen abtransportieren ließ. Im 18. Jahrhundert hatten die Grafen die mittelalterliche Burg aufwendig zum Barockschloss aus- und umbauen lassen – nebst Orangerie und kunstvoll bepflanzten Gartenterrassen. Der französische Staat als neuer Eigentümer ließ das gesamte Schloss meistbietend versteigern. Der neue Besitzer hatte jedoch nichts Besseres zu tun, als die Gebäude völlig auszuschlachten und alles Brauchbare an Dachwerk, Ziegeln, Balken, Fenster, Türen und anderem zu verkaufen. Danach war das Schloss nur noch eine Wind und Wetter ausgesetzte Ruine. Erst der 1927 begonnene Ausbau zur heute noch bestehenden Jugendherberge stoppte den Verfall.

Mit dem Verlust der Residenz einer reichen Grafendynastie begann für Blankenheim ein abrupter Absturz sowohl in kultureller als auch wirtschaftlicher Hinsicht, da der gräfliche Hof auch ein bedeutender Arbeitgeber gewesen war. Von diesem Bedeutungsverlust hat sich Blankenheim nie wieder erholt, ihn konnte auch ein bescheidener Tourismus nicht ganz ausgleichen. Doch immerhin wird diesem auch abseits der Ahrquelle Bedeutendes geboten:

1997 entdeckte man den sogenannten Tiergartentunnel, eines der bedeutendsten technischen Bauwerke des rheinischen Mittelalters. Denn mittels eines aufwendigen Tunnelbauwerks, dessen Bauweise nur Vorbilder aus römischer Zeit besitzt, ließen die Grafen frisches Quellwasser aus einem Nachbartal über eine Druckwasserleitung zur Burg führen. Ein hölzernes Teilstück der Röhre konnte auf das Jahr 1468 datiert werden.

Während die Antikensammlung, die ein kunstsinniger Graf in der Renaissance aus römischen Funden in Köln und der Eifel in der Burg angelegt hatte, verschwunden ist, sind von einer weiteren Sammelleidenschaft der Grafen noch einige Reste vor Ort erhalten. Denn wie jede mittelalterliche Adelsfamilie, die etwas auf sich hielt und über entsprechende finanzielle Mittel und Netzwerke verfügte, trugen auch die Manderscheider Grafen einen umfangreichen Reliquienschatz zusammen. Dieser wurde bis zu ihrer Zerstörung in der Schlosskapelle verwahrt.

In der spätgotischen Dorfpfarrkirche unterhalb der Burg befindet sich in einer vergitterten Nische das kunsthistorisch bedeutende, silberne Büstenreliquiar des Ritterheiligen Georg, dem sichtbar menschliche Gebeine angefügt sind, die angeblich von dem Heiligen stammen. Eiserne Ringe hoch oben an den Seitenwänden lassen darauf schließen, dass dort an bestimmten Wallfahrtstagen den Pilgern kostbare Stoffreliquien gezeigt wurden, darunter ein Stück vom Abendmahlstischtuch.

Der 1505 geweihte Kirchenbau erscheint mit seinen prachtvollen spätgotischen Sternrippengewölben und großen Maßwerkfenstern für die Funktion als Dorfkirche viel zu aufwendig. Tatsächlich folgt seine Architektur in vereinfachter Form der Chorhalle des Aachener Münsters und damit dem bedeutendsten rheinischen Pilgerziel. So wollte der Bauherr Graf Johann I. allen Besuchern vor Augen führen, in welcher Liga sein Reliquienschatz spielte. Da Blankenheim am bedeutenden Pilgerweg von Köln nach Trier zum angeblichen Grab des Apostels Matthias in der gleichnamigen Abteikirche und damit auch am Jakobsweg ins spanische Santiago de Compostela lag, fanden sich immer wieder Wallfahrer auch in dieser Kirche ein. Zu deren Versorgung und Unterbringung stifteten die Grafen großzügig eine Herberge vor Ort. Die oft weitgereisten Pilger dürften sicherlich gestaunt haben, welcher Heiligtumsschatz sich ihnen dort in der Provinz bot.

Dr. Jürgen Kaiser (geb. 1967) studierte in Marburg und Köln Kunstgeschichte, Mittelalterliche Geschichte und Provinzialrömische Archäologie. Er lebt in Köln als Sachbuchautor und Kulturreiseleiter. Gemeinsam mit dem Fotografen Florian Monheim veröffentlichte er im Greven Verlag Köln zahlreiche Bücher, zuletzt 2019 Macht und Herrlichkeit – die großen Kathedralen am Rhein von Konstanz bis Köln.