Themenwelt
von Jürgen Kaiser
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist vor der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 geschrieben worden. Durch gewaltige Regenfälle vom 14. bis 17. Juli 2021 gab es in Bad Münstereifel und den umliegenden Stadtteilen Arloff, Eicherscheid, Iversheim, Kirspenich und Schönau Todesopfer und schwere Verwüstungen.
Wohl keine zweite Stadt der Eifel hat sich so oft neu erfunden wie Bad Münstereifel. Von den Kriegen des 18. Jahrhunderts ausgeplündert und durch die Säkularisation 1802 seiner sieben Klöster beraubt, die auch wichtige Arbeitgeber waren, kam der Ort 1815 an Preußen. Die große Armut hatte zur Folge, dass man anders als andernorts im 19. Jahrhundert weder die mittelalterliche Stadtmauer noch die heruntergekommenen Fachwerkhäuser abriss. Dieser Nachteil wandelte sich aber wenige Jahrzehnte später ins Gegenteil: Die gut erhaltene, malerische Altstadt, durch die sich reizvoll die noch junge Erft schlängelt, avancierte zum beliebten Ausflugsziel. Mit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz 1890 strömten nun umso mehr großstadtmüde Kölner und Bonner hierher, um das mittelalterliche Flair zu genießen. Aus den Einnahmen konnte dann ein umfangreiches Renovierungsprogramm finanziert werden, was dem Stadtbild sehr zugute kam. Um die Tagesbesucher aber auch zu einem längeren Aufenthalt zu motivieren, sorgte die Stadtspitze dafür, dass Münstereifel 1926 zum ersten Kneipp-Kurbad im Westen Deutschlands erklärt wurde. Dafür entstand oberhalb der Stadtmauer ein Kurhaus samt Park. Zahlreiche Wanderwege erschlossen zudem die waldreiche Umgebung.
Doch ab den 1990er-Jahren florierte der Kurbetrieb nicht mehr, Wochenendtrips gingen dank Billigfliegern eher auf die Balearen und auch der Einzelhandel schwächelte zunehmend. Diesen Abwärtstrend stoppte man 2014 beherzt. Erstmals wurde der Versuch gewagt, ein Outlet-Center nicht, wie sonst üblich, auf der grünen Wiese zu errichten, sondern in eine mittelalterliche Stadtstruktur zu integrieren. Dieses neuartige Konzept eines sogenannten City Outlets weckte dauerhaft das Interesse der Konsumenten, die so Einkaufs- und Ausflugserlebnis perfekt miteinander verbinden konnten, und blieb daher bis heute erfolgreich. Das trostlose Bild leerstehender Geschäfte und verklebter Schaufenster wich nun einem bunten und lebendigen Eldorado für Markenliebhaber. Auch die Gastronomie profitierte entsprechend.
Im Mittelalter und dann noch einmal in der Barockzeit war Münstereifel schon einmal ein Besuchermagnet. Heute verbinden die meisten mit Bad Münstereifel den Namen des Schlager- und Volksliedinterpreten Heino, der hier lange Zeit in unmittelbarer Nachbarschaft der Stiftskirche als gelernter Konditor höchst erfolgreich ein Café betrieb. Doch in früheren Zeiten waren es das Märtyrerehepaar Chrysanthus und Daria sowie der Wetterheilige Donatus, deren Reliquien und Bekanntheit die Massen anzogen. Wer heute die romanische Stiftskirche besucht und in die Krypta hinabsteigt, entdeckt dort den Schrein des heiligen Ehepaares. Schon 844 brachte der Prümer Abt Markward dessen Gebeine persönlich von Rom hierher, um dieses Filialkloster seiner Abtei für Pilger attraktiv zu machen. Der Abt war damals in diplomatischer Mission für den Kaiser in der Ewigen Stadt und erhielt die kostbaren Reliquien wohl als päpstliches Geschenk. Besonders bei Eheproblemen und als Fürsprecher für einen guten Tod waren Chrysanthus und Daria beliebte Helfer. Das heutige barocke Reliquiar aus bemaltem Holz ersetzt einen kostbaren gotischen Silberschrein, der leider in einem Krieg des 16. Jahrhunderts eingeschmolzen wurde. Nur der vergitterte eiserne Schutzkasten mit einer bildlichen Darstellung der beiden Heiligen blieb von der mittelalterlichen Pracht erhalten.
Die ehemalige Stiftskirche ist ein aufwendiger Kirchenbau der Romanik, der durch einen Westbau in der Nachfolge von Sankt Pantaleon in Köln ausgezeichnet ist.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts musste man zweimal auf höchst kostspielige und technisch komplizierte Weise das Fundament der Kirche unterfangen, die im Schluff der Erftablagerungen abzusacken drohte. Wer den Chorraum betritt, entdeckt nicht nur barocke Bilder und Statuen des Märtyrerehepaares. Auffällig sind die marmorartigen, honigfarbenen Säulen sowie Altar- und Bodenplatten. Sie entstammen den Kalkablagerungen (Kalksinter) der römischen Frischwasserleitung aus der Eifel ins antike Köln. Dieses technisch bedeutendste Kanalbauwerk der Römer nördlich der Alpen führte nahe an Münstereifel vorbei und wurde daher im 12. Jahrhundert als willkommener Steinbruch benutzt. Schnell erkannte man, dass der unansehnliche Kalksinter im polierten Zustand sich bestens als glänzender Marmorersatz eignet. Bei vielen romanischen Kirchenbauten des Rheinlandes – aber auch darüber hinaus, bis hin zum Palas der Wartburg oder zur Kathedrale von Canterbury – wurde dieser besondere Baustoff an hervorgehobenen Bauteilen verwendet.
Geht man um die Stiftskirche herum, so findet sich östlich des Klosterplatzes als besondere Kostbarkeit das romanische Wohnhaus eines Stiftsherrn. Denn im Unterschied zu einem Kloster gab es in einem Stift zwar gemeinschaftliche Gebetszeiten in der Kirche, aber kein Gemeinschaftsleben. Die Stiftsherren oder Kanoniker waren meist nachgeborene adelige oder bürgerliche Söhne, deren Eltern ihnen zur Versorgung eine gut dotierte Stelle in einem Stift verschafften. Da es anders als im Kloster kein Gebot der Armut und Besitzlosigkeit gab, bauten sich die Stiftsherren ansehnliche Wohnhäuser. So ahmt das romanische Stiftsherrenhaus tatsächlich das Wohngebäude einer Burg des 12. Jahrhunderts nach. Auch hier finden sich Kalksintersäulen und -sohlbänke. Nur noch in Karden an der Mosel und in Kaiserswerth bei Düsseldorf blieb ein solches Kanonikerhaus der Romanik erhalten.
Die mittelalterlichen Stiftsherren waren aber durchaus gewinnorientiert. So erreichten sie schon 898, dass ihnen vom König das Markt-, Münz- und Zollrecht verliehen wurde, was reiche Einnahmen versprach. Daher legten die Kanoniker unmittelbar vor ihrem Stiftsbezirk einen Markt samt Siedlung an. Doch Reichtum weckt zu allen Zeiten Begehrlichkeiten. Da Stiftsherren, wie auch Mönche, keine Waffen tragen durften, benötigten sie einen Schutzherrn (Vogt) für ihre Gemeinschaft. Ab dem 13. Jahrhundert waren dies die Grafen von Jülich, die nichts anderes im Sinn hatten, als den reichen Stiftsbesitz ihrer Herrschaft zu unterstellen. Damit es sich die Münstereifeler Kanoniker nicht noch einmal anders überlegen konnten, ließen die Jülicher Grafen eine Burg auf der dem Stift gegenüberliegenden Talseite erbauen. Diese Machtdemonstration führte zum gewünschten Erfolg: Die Grafen ummauerten die Siedlung, die sie dann zu ihrer Stadt erhoben. Das Wasser der Erft nutzten die rührigen Bürger zur Verarbeitung von Wolle, zum Gerben von Leder und zum Brauen von Bier, mit dem gehandelt wurde. Der erarbeitete Wohlstand zeigt sich noch heute am mittelalterlichen Rathaus und den großen Fachwerkhäusern. Ein Steinhaus des Spätmittelalters in der Wertherstraße ließ das nahe Prämonstratenserstift Steinfeld als repräsentativen Stadthof errichten. Dort konnte man in Kriegszeiten Zuflucht im Schutz der Stadtmauer finden und in Friedenszeiten Handelswaren lagern und vermarkten.
Nachdem der Pilgerbetrieb des Stiftes im 16. Jahrhundert aufgrund der um sich greifenden Reformation und der kriegerischen Wirren erlahmte, entwickelte sich Münstereifel durch die Zugehörigkeit zur wieder katholisch gewordenen Kurpfalz im 17. und 18. Jahrhundert zu einem Zentrum der Gegenreformation in der Eifel. Besonders die Jesuiten taten sich dabei hervor, gründeten sie hier 1625 doch nicht nur ein Kloster, sondern auch ein Gymnasium.
Katholischer Glaube sollte auch über eine fundierte Bildung nebst Theater und Musik vermittelt, gleichsam mit allen Sinnen erfasst werden. Daher galt es auch, das Wallfahrtswesen wiederzubeleben.
Doch die Jesuiten verließen sich nicht einfach auf die beiden schon jahrhundertelang in Münstereifel ruhenden Märtyrer der Stiftskirche, sondern schufen sich mit dem heiligen Donatus ein eigenes Pilgerziel in ihrer Kirche. Ein spektakuläres Wunder bei der Überführung der Donatus-Gebeine nach Münstereifel blieb nicht ohne Wirkung. Die Knochen des Heiligen stammten aus einer römischen Katakombe und wurden von der Ordenszentrale in der Ewigen Stadt in die Eifel geschickt. Als die Prozession in Euskirchen aufbrechen wollte, streckte ein Blitz den Priester vermeintlich tödlich nieder. Doch als dieser plötzlich wieder lebendig wurde, war allen Gläubigen klar, dass Donatus speziell für die Abwehr von Gewittern und anderen Unwettern zuständig war. Gerade für die bäuerliche Bevölkerung der Eifel wurde damit ein wichtiger neuer Fürsprecher eingesetzt, um die überlebenswichtige Ernte zu schützen. Dieser Wetterheilige musste allerdings gnädig gestimmt werden. Und so füllten die Geldgaben der Bauern die Kasse der Jesuiten.
Auf dem nahen Michelsberg, mit 586 Meter eine der höchsten Erhebungen der Eifel vulkanischen Ursprungs, übernahmen die Jesuiten ebenfalls die Wallfahrt. Sie war dort erst im Spätmittelalter entstanden. Doch schon in keltischer und römischer Zeit war diese markante Erhebung ein Kultort, der auch in christlicher Zeit noch lange von Heiden besucht wurde. Erst mit dem Bau einer Kapelle, die man dem für Bergheiligtümer häufig als Patron erwählten Erzengel Michael weihte, konnte die Verehrung endgültig christianisiert werden. Unter den Jesuiten nahm die gesamte Bevölkerung Münstereifels an den Prozessionen zum Bergheiligtum teil. Der ursprüngliche Name Mahlberg, den heute das benachbarte Dorf trägt, weist darauf hin, dass der Berg einst auch ein uralter Gerichtsort war.
Zwei weitere inzwischen eingemeindete Nachbardörfer Bad Münstereifels zeigen ebenfalls den großen historischen Spannungsbogen, der diese geschichtsträchtige Region prägt. In Iversheim konnten mehrere römische Kalkbrennöfen ausgegraben und durch Schutzbauten gesichert werden. Dank engagierter Ehrenamtler erfährt der Besucher, dass dort das unmittelbar anstehende Kalksteinvorkommen in nahezu industrieller Weise zu Baukalk gebrannt wurde. Der Bedarf der Römer war enorm, entstanden doch überall im Rheinland zahlreiche, teils monumentale Steinbauten, die Mörtel sowie Innen- und Außenputz benötigten. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden in der Eifel wieder ähnlich effektive Kalkbrennöfen, die eine vergleichsweise hohe Produktion erreichten.
Im Ortsteil Rodert oberhalb von Bad Münstereifel entstand unmittelbar neben dem Dorf 1940 das erste feste Führerhauptquartier, Felsennest genannt. Adolf Hitler hielt sich dort im Mai und Juni 1940 vier Wochen auf, um von diesem Eifelstandort aus den sogenannten Westfeldzug zur Eroberung der Benelux-Staaten und Frankreichs zu leiten. In der Nachkriegszeit sprengte man den Führerbunker, dessen Ruinen im Gelände noch erkennbar sind.
Dr. Jürgen Kaiser (geb. 1967) studierte in Marburg und Köln Kunstgeschichte, Mittelalterliche Geschichte und Provinzialrömische Archäologie. Er lebt in Köln als Sachbuchautor und Kulturreiseleiter. Gemeinsam mit dem Fotografen Florian Monheim veröffentlichte er im Greven Verlag Köln zahlreiche Bücher, zuletzt 2019 Macht und Herrlichkeit – die großen Kathedralen am Rhein von Konstanz bis Köln.